Es ist ein Mythos in der Gesellschaft, dass ein Jäger immer dann haftet, wenn er schießt. Um haftbar zu sein, muss auch tatsächlich ein Verschulden vorliegen. Die Jagd unterliegt vielen und strengen Vorschriften. Unfälle sind daher die Ausnahme und nicht die Regel. Lesen Sie hier:

  • Welche Aufgaben haben Jagdleiter bzw. „Ansteller“?
  • Welche Vorschriften haben Jagdteilnehmer zu befolgen?
  • Was genau sind Bewegungsjagden?
  • Welche Vorfälle und Unfälle werden von Versicherungen abgedeckt?
  • Wann und wie werden Jägerinnen und Jäger von der Versicherung unterstützt.
  • Kann ich meinen Jagdhund versichern?

Das und einiges mehr haben wir Martin Köhler, Versicherungsexperte der der UNIQA Versicherung, gefragt. Und Interessantes für Jäger und Nicht-Jäger erfahren. Lesen Sie hier das gesamte Interview.

jagdfakten.at: Herr Köhler, Sie sind Versicherungsexperte und selbst Jäger, kennen also das heutige Thema von beiden Seiten. Was ist dabei die Hauptproblematik?

Martin Köhler: Das ist eine spannende Frage, die nicht mit einem Satz beantwortet werden kann. Fakt ist, dass jagdliche Schadensfälle oder Unfälle sehr oft sehr komplex und noch öfter sehr emotional sind. Aber erlauben Sie mir einen wichtigen Punkt gleich vorab zu erwähnen: Die Jägerschaft hat sich in den vergangenen Jahren einem deutlichen Wandel unterzogen. Wir haben es in der Regel mit gut ausgebildeten, verantwortungsvollen Menschen zu tun. Dennoch sind Unfälle nie auszuschließen.

jagdfakten.at: Sie haben von emotionalen Vorkommnissen gesprochen. Woran denken Sie dabei?

Martin Köhler: Emotional wird es immer dann, wenn es zu Verletzungen einer Person kommt, aber auch dann, wenn z.B. ein Jagdhund angeschossen wird.

jagdfakten.at: Warum das?

Martin Köhler: Betreffend Jagdhunde hat das einen rechtlichen Grund, denn vor dem Gesetz ist der Hund eine Sache und Streitigkeiten unterliegen somit dem Schadensersatzrecht nach ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch). Somit gibt es im Schadenfall wesentliche Haftungsunterschiede gegenüber Personenschäden.

Jagdunfall vermeiden: jagdfakten.at & UNIQA Tipps

Die Signalfarbe Orange gibt zusätzliche Sicherheit bei Bewegungsjagden

jagdfakten.at: Allgemein wird davon ausgegangen, dass prinzipiell der Schütze verantwortlich und damit auch haftbar ist. Stimmt das?

Martin Köhler: Nein, das wäre zu einfach. Verantwortlich heißt nicht automatisch auch haftbar. Nehmen wir zum Beispiel die Bewegungsjagd. An dieser nehmen mehrere Jäger, sehr oft mit ihren Hunden teil. Sie findet ausschließlich untertags statt und es herrschen sehr strenge und klar geregelte Sicherheitsvorschriften, die alle teilnehmenden Personen kennen müssen UND an die sich auch alle halten müssen. Ist das nicht der Fall – verlässt zum Beispiel jemand die ihm oder ihr zugewiesene Position – dann ist die Schuldfrage ganz neu zu bewerten. In diesen Fällen kann eine Versicherung auch den Jäger schützen (in Form der Abwehr ungerechtfertigter Schadenersatzansprüche).

jagdfakten.at: Viele unserer Leserinnen sind selbst keine JägerInnen. Können Sie uns erklären wie das bei einer Bewegungsjagd abläuft? Wer teilt wen ein?

Martin Köhler: Bewegungsjagden unterliegen einer klaren Planung und Organisation mit einer gewissen Vorlaufzeit, bei der auch die örtlichen Verhältnisse einbezogen werden. Veranstaltet werden sie, um eine ausgewogene Sozialstruktur der Wildbestände zu fördern und um Wildschäden zu reduzieren. An diesen Jagden nehmen mehrere Personen teil. Die Einteilung vor Ort obliegt dem Jagdleiter und sogenannten „Anstellern“. Diese Personen teilen vereinfacht gesagt genau ein wer wo zu stehen hat. Damit ergeben sich für den Jäger automatisch Bereiche in welche geschossen werden darf und wichtiger wohin auf jeden Fall nicht geschossen werden darf. 

jagdfakten.at: Lassen Sie uns das etwas vertiefen: Was sind die wesentlichen Aufgaben eines Jagdleiters?

Martin Köhler: Das Herzstück ist definitiv die „Ansprache“ zu Beginn der Jagd. Sie legt die „Spielregeln“ für genau diese Jagd fest, an die sich alle zu halten haben.

Wesentliche Punkte & Aufgaben im Zuge der Jagdvorbereitung sind:

>> Anmeldung der Gesellschaftsjagd (ist nicht in allen Bundesländern vorgeschrieben)

>> Aufstellen von Hinweisschildern (ist nicht in allen Bundesländern vorgeschrieben)

>> Ziel der Bewegungsjagd definieren und festhalten welches Wild zum Abschuss freigegeben ist

>> Jagdkarte kontrollieren

>> Jäger bekommen Stände von ortskundigen Anstellern zugewiesen

>> Jäger bekommen Nachbarstände und Schussbereiche gezeigt

>> Schussbereiche müssen so gestaltet sein, dass niemand gefährdet wird

>> Klare Definition von Beginn und Ende der Jagd, sowie Abbruchregelungen

>> Transport von Jagdteilnehmern (kann ebenfalls zu einem Streitpunkt bei Versicherungsfragen werden – zB.: Transport der Jagdgesellschaft in einem Traktoranhänger)

>> Hinweis auf mögliche Waldbesucher auf Wald- und Forstwegen

>> Ordnungsgemäße Kennzeichnung und Ausrüstung von Jagdhunden (Warnwesten)

>> Alle Jagdteilnehmer haben Sicherheitsbekleidung & Warnwesten zu tragen, ansonsten verschmilzt der Jäger mit seiner Umgebung – siehe Foto unten!

>> Einteilung und Bekanntgabe, wer als Ersthelfer eingeteilt ist und das entsprechende Material mitführt

>> Definition der Notfallkette, Notfallmeldung (Austausch von Handynummern)

 

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jagdfakten.at: Und was sind die wesentlichen Do´s & Dont´s der JagdteilnehmerInnen?

Wie lässt sich ein Jagdunfall vermeiden:

Martin Köhler: Am wichtigsten ist das unbedingte Befolgen der Anweisungen.
Zu den wesentlichen Vorbereitungen und Aufgaben der Jagdteilnehmer gehören:

  • Jagdpapiere vollständig bei sich zu haben
  • Tragen von Warnwesten, bzw. Warnkleidung – der ausschließlich grüngewandete Jäger ist bei dieser Art der Jagd eigentlich Geschichte.
  • Waffe erst laden, wenn man auf der zugewiesenen Position ist.
  • Waffe nach Beendigung der Jagd (noch auf der zugewiesenen Position) sofort entladen
  • Waffe außerhalb des Treibens – also am Weg zu und fort von der zugewiesenen Position – mit geöffnetem Verschluss und der Mündung nach oben bzw. gebrochen (abgeknickt) tragen, damit sich kein Schuss unabsichtlich lösen kann und für jeden ersichtlich ist, dass die Waffe ungeladen ist.

Kipplaufwaffen, wie die klassische Flinte gelten als gebrochen, wenn die Läufe abgeknickt sind.

  • Regelmäßiger Kontakt mit Nachbarn – zB.: mit Handzeichen nachdem die Position eingenommen ist, damit man sicher gehen kann, dass jeder weiß, wo sich der Nachbar befindet.
  • Zugewiesenen Stand bzw. zugewiesene Wegstrecke bis zum Ende der Jagd nicht verlassen.
  • Sollten sich einzelne Jagdteilnehmer nicht an Vorgaben halten, bitte unverzüglich der Jagdleitung melden.
  • Schüsse sind erst nach dem offiziellen Beginn und vor dem Ende bzw. einem Abbruch der Jagd erlaubt.
  • Jäger müssen immer auf natürlichen Kugelfang achten. Das heißt, das Geschoss muss zB.: in einen natürlich gewachsenen und einsehbaren Boden eindringen können.
  • Nur ausgebildete Hunde mitnehmen.

jagdfakten.at: Danke für diese kompakte Übersicht. Kommen wir nun wieder auf Ihre Funktion als Versicherung zu sprechen:

Was muss ein Hundehalter bei einer Jagd unbedingt tun, damit eine Versicherung greift?

Martin Köhler: Wie gesagt, ob und wann bzw. in welchem Umfang eine Versicherungsdeckung vorliegt ist von Fall zu Fall zu prüfen. Dennoch gibt es Vorkehrungsmaßnahmen, die vorliegen sollten. Bei mitgeführten Hunden sind das zum Beispiel:

1) Den Hund entsprechend auszubilden – etwa im Zuge der jagdlichen Hundekurse oder von Hundetrainern

2) Und den Hund entsprechend auszustatten:

– Signalhalsband
– Signal- bzw. Warnweste
– Hundeschutzweste

jagdfakten.at: Und was ist zu tun, falls ein Hund doch verletzt (zB.: angeschossen) wird?

Martin Köhler: Hier haben wir eine klare Empfehlung:

  1. Jagdleiter verständigen damit die Jagd unverzüglich unterbrochen bzw. abgebrochen wird.
  2. Den verletzten Hund so rasch wie möglich tierärztlich erstversorgen und dann die besprochene Notfallskette in Gang setzen.
  3. Eine erste Sachverhaltsdarstellung machen – kann später für uns als Versicherung wichtig sein.
  4. Polizei rufen falls die Situation laut Sachverhaltsdarstellung strittig ist. Verpflichtend ist das Rufen der Polizei bei einem angeschossenen Hund jedoch nicht. Anders wäre das, falls ein Mensch verletzt werden würde.

jagdfakten.at: Und wenn Menschen im Zuge einer Jagd angeschossen werden?

Martin Köhler: Hier möchte ich bevor ich antworte eine Lanze für die Jägerschaft brechen. Die Zahl der Verletzungen ist im Verhältnis zur Zahl der stattfindenden Jagden, Gott sei Dank, sehr gering. Wir leben aber auch in einer Zeit, in der über Jagdunfälle medial sofort berichtet wird – und dann zumeist negativ oder tendenziös.

Aus eigener Erfahrung weiß ich aber: Die meisten Jägerinnen und Jäger gehen heute sehr pflichtbewusst vor und halten sich an die Sicherheits- und Schutzvorkehrungen. Darauf achten auch wir als Versicherung, denn so kann zum Beispiel die Verwendung bzw. Nicht-Verwendung von entsprechenden Signal- und Schutzwesten bei der Schuldfrage wichtig sein. Sollte dennoch ein Mensch verletzt werden, so sollte unbedingt Folgendes erfolgen:

  1. Jagdleiter verständigen damit die Jagd unverzüglich unterbrochen bzw. abgebrochen wird.
  2. Sofortige medizinische Erstversorgung und Notfallskette in Gang setzen.
  3. Die Polizei muss bei Personenschäden unverzüglich informiert werden.

Aus Sicht als Versicherung sind bei der Sachverhaltsdarstellung dann auch folgende Punkte durchaus relevant:

  • Wurden die Anweisungen und Vorgaben der Jagdleitung, des „Anstellers“ befolgt?
  • Wurden von der verletzten Person entsprechende Schutzvorkehrungen, wie zum Beispiel das Tragen einer Warnweste, getroffen?
  • Hat der Jäger die allgemeinen Regeln der Jagd eingehalten und etwa auf einen natürlichen Kugelfang geachtet?

Diese und viele weitere Fragen gilt es zu stellen, zu beantworten und zu bewerten, um zu einem späteren Zeitpunkt die Schuldfrage und damit auch die Frage klären zu können, ob und in welchen Umfang eine Versicherung greift.

Jeder Jäger muss sein Schussfeld kennen und die Anweisung des Anstellers befolgen.

jagdfakten.at: Sie haben zuvor schon anklingen lassen, dass es Fälle gibt in denen eine Versicherung nicht nur die Leidtragenden entschädigt, sondern auch den vermeintlichen Verursacher schützt, also den Schützen. Können Sie uns das noch kurz erläutern?

Martin Köhler: Es gilt wirklich von Fall zu Fall die Schuldfrage neu und detailliert zu bewerten. Aber ja, es gibt Fälle, in denen eine Versicherung auch den Jäger schützt – zum Beispiel in dem wir unseren Klienten bei der Verteidigung helfen. Sollte jedoch ein Verschulden vorliegen, dann gelten unsere Versicherungsleistungen gegenüber den Geschädigten.

jagdfakten.at:

Wofür bzw. wogegen kann man sich eigentlich im Umfeld der Jagd versichern lassen?

Martin Köhler: Das ist ebenfalls eine Frage, die einer sehr individuellen Beantwortung bedarf. Es fängt zum Beispiel schon damit an in welchem Bundesland man eine Jagdkarte gelöst hat. So ist man zum Beispiel in Niederösterreich als BesitzerIn einer Jagdkarte über den Landesjagdverband automatisch haftpflichtversichert, in den anderen Bundesländern muss dies aber nicht der Fall sein. Am besten erkundigt man sich bei seinem Landesjagdverband.Vereinfacht gesagt kann man es vielleicht so erklären:

  • Es gibt eine eigene Haftpflicht für Jäger im Zuge der Ausübung der Jagd
  • Ebenso kann ich meinen Jagdhund haftpflichtversichern z.B.
    • wenn er einen anderen Hund verletzt
    • wenn er einen Menschen verletzt oder
    • wenn er ein Wildtier reißt
  • Darüber hinaus gibt es für Hunde auch die klassische Tierhalterhaftpflichtversicherung.

jagdfakten.at: Sie haben eingangs erwähnt, dass sich die Jägerschaft in den letzten Jahren einem deutlichen Wandel unterzogen. Wurde damit auch das Ende der doch sehr traditionellen Riten eingeleitet?

Martin Köhler: Nein, ich nehme sogar eher das Gegenteil war. Der moderne Jäger legt großen Wert auf Sicherheit und Anstand. Aber eben auch auf Traditionen. Bräuche wie zum Beispiel „der Bruch“ als „letzter Bissen“, das Legen der Strecke, aber auch Sitten wie die Hubertusmesse nehmen zu und gewinnen wieder mehr an Bedeutung. Und um abschließend auch einem häufigen Vorurteil entgegenzutreten: Für verantwortungsvolle Jägerinnen und Jäger – und das sind die meisten und es werden immer mehr – passen Jagdausübung und Alkohol nicht zusammen. Das bedeutet aber nicht, dass nicht (mehr) gefeiert wird. Es wird gefeiert, aber am Ende der Jagd beim sogenannten „Schüsseltreiben“, das mit dem „19. Loch beim Golfsport“ vergleichbar ist.

jagdfakten.at: Herr Köhler, herzlichen Dank für das Interview!