So oder so ähnlich: Was, bitte, ist Jägerlatein?

Nicht ganz die Wahrheit: Wenn die Jägerschaft zur Übertreibung neigt, spricht man von Jägerlatein.
Aber was bedeutet das genau? Wir informieren:

JÄGERLATEIN

Sagen wir so: Für Außenstehende ist die Welt der Jägerinnen und Jäger nicht immer leicht zu verstehen. Das liegt mitunter an der sogenannten Weidmannssprache. Diese traditionelle Fachsprache dient zwar seit Jahrhunderten einer exakten Verständigung unter der Jägerschaft. Sie kann aber für viele Außenstehende völlig unverständlich klingen. Ob nun der Jagdhund bögelt, der Hirsch forkelt oder das Auerhuhn nadelt – die Weidmannssprache ist eben ein Jargon, den man erst erlernen muss.

Kein Wunder also, dass viele Laien und Laiinnen die Weidmannssprache als „Jägerlatein“ bezeichnen. Doch das ist falsch. Denn beim Jägerlatein handelt es sich um etwas ganz anderes als um besagten Jargon. Vielmehr sind darunter Erzählungen von der Jägerschaft zu verstehen, die es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen. Und zwar aus einem einfachen Grund: Sie wollen das Erlebte während der Jagd als etwas Erfolgreicheres darstellen, als es tatsächlich war. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Dem Erfindungsreichtum waren keine Grenzen gesetzt. Aber was genau kann man sich darunter vorstellen?

Jägerlatein
als Machtdemonstration

Eines sei vorausgeschickt: Das Jägerlatein gibt es nicht etwa deswegen, weil die Jägerschaft öfter zu Übertreibungen neigt als andere NaturliebhaberInnen. FischerInnen beispielsweise sind genauso anfällig für ihr Anglerlatein, gleiches gilt für SeefahrerInnen mit ihrem so genannten Seemannsgarn. Nachdem es die Jagd aber nun einmal schon so lange gibt, wurde das Jägerlatein über die Jahrhunderte auch ganz gut dokumentiert. Dadurch verraten die Geschichten immer auch etwas über die Zeit, in der sie entstanden sind.

Es überrascht nicht, dass die ersten dokumentierten Jägerlateinerzählungen ein ganz bestimmtes Tier als Protagonisten hatten: den Elefanten. Größer, spektakulärer und bombastischer geht es ja wohl kaum. Der ägyptische Pharao Thutmosis III. etwa erzählte um 1450 v. Chr., er habe in Vorderasien nach überstandenem Feldzug sage und schreibe 120 Elefanten erlegt. Drei Jahrhunderte später legte Tukulti-apil-Ešarra I., der König des Assyrischen Reiches, noch einen drauf: Auf die (ebenfalls 120!) Elefanten kamen noch 800 Löwen. Man sieht: Solche Erzählungen dienten den Herrschenden auch als Machtdemonstration. Und je brachialer die Erzählung war, desto unbezwingbarer wirkten die Herrscher damit.

Künstlerische Darstellung - Thutmosis III

Fantastische Mischwesen

Ein Blick ins 18. Jahrhundert ist ebenso aufschlussreich: In der Zeit der Aufklärung begann der Mensch, durch die Naturwissenschaften die Natur zunehmend zu entschlüsseln. Auch durch den internationalen Wissenstransfer und aufkommende Reiseberichte aus allen Ecken der Welt entdeckten die Menschen in Europa neue, bisher unbekannte Tierarten. Das regte ihre Fantasie an – und führte bei der Jägerschaft auch dazu, bei ihren „Berichterstattungen“ neue Tierarten zu erfinden.

Einige davon wurden durch ausgeklügelte Geschichten geradezu zum Mythos. Bestes Beispiel: der sogenannte Wolpertinger. Das Mischwesen wurde meist als Hase mit Geweih und Flügeln dargestellt. Je nach Region variierten die Methoden, mit denen man diesem seltsamen Geschöpf nachstellen sollte. Zum Beispiel, indem man als männlicher Jäger bei Vollmond und Abenddämmerung eine junge, schöne Frau mitnahm. Oder indem man sich mit ausreichend Salz auf den Weg machte, um den Schwanz des Wolpertingers damit zu bestreuen.

Wolpertinger (in Anlehnung an den Feldhasen Albrecht Dürers)

Jedem Jägerlatein seine Zeit

Ein anderes Wesen, das die Jägerschaft zu jeder Menge Fantasien und Geschichten inspirierte, war der sogenannte Elwetritsch. Dieses Geschöpf ähnelte einem Huhn, bloß konnte es seine Flügel nicht benutzen. Außerdem wurde es oft mit sehr langem Schnabel abgebildet. Dem Mythos nach galten diese Elwetritsche als sehr scheu – weswegen es in Erzählungen natürlich umso beeindruckender war, wenn man sich damit brüsten konnte, einen solchen einmal erlegt zu haben.

Ein Blick in die Geschichte des Jägerlateins zeigt, wie sehr sich die Stilmittel solcher „erfundener Tatsachen“ über die Jahrhunderte entwickelten. Heute, in Zeiten allgegenwärtiger Dokumentation und Faktenchecks, sind Jägerlateingeschichten wiederum Grenzen gesetzt. Und doch: Die eine oder andere Übertreibung ist noch immer möglich. Es müssen ja nicht gleich 120 Elefanten sein.

UNSERE
LESE-EMPFEHLUNG

Bildquellen für diesen Beitrag: Wikipedia – Elwetritsch  – Wolpertinger  – Thutmosis

Autor für diesen Beitrag: L. Palm / Jagdfakten.at

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