Unsere Natur ist einem ständigen Wandel ausgesetzt:
Eine Abfolge von Leben und Tod – fressen und gefressen werden. Der Mensch hat sich die Natur zu eigen gemacht und sie geformt. In Österreich sind z.B. nur mehr etwa drei Prozent der gesamten Waldfläche Urwald. Mit diesen empfindlichen Eingriffen in den Naturkreislauf sind auch Verpflichtungen einhergegangen: Den Erhalt der verbleibenden Flora und Fauna für kommende Generationen.
Doch das vom Menschen beeinflusste Ökosystem in unseren europäischen Kulturlandschaften wird von Zeit zu Zeit auch durch tierische oder pflanzliche Neuankömmlinge, sogenannte Neobiota (gebietsfremde Organismen) aufgerüttelt. Hinzu kommen auch Rückkehrer, die lange Zeit verschwunden waren. Der natürliche Kreislauf wird nicht allein vom Menschen beeinflusst, sondern zusätzlich durch andere Tiere und Pflanzen. Welche Auswirkungen für das Ökosystem entstehen, sind in beiden Fällen meist nicht vorhersehbar.
Dieses Phänomen nennt man nichtlineare Dynamik – umgangssprachlich auch Schmetterlingseffekt: Die Unvorhersagbarkeit der Wirkung von kleinsten Veränderungen der Eingangsbedingungen in Systemen. Nicht nur Kulturlandschaften sind anfällig für Veränderungen im Naturkreislauf, auch in riesigen Nationalparks, wie dem amerikanischen Yellowstone-Park, lassen sich unerwartete Beobachtungen machen.
Naturkreislauf
im Yellowstone-Park
Hirsch vs. Forelle
Was zunächst nach einem schlechten Filmtitel klingt, hat einen ernsten Hintergrund. In einem Fachartikel des Magazins „Proceedings B“ der britischen Royal Society (einer Vereinigung von weltweit renommierten Wissenschaftlern) wird ein solcher Verdrängungseffekt beschrieben.
Die Grizzlybären des Yellowstone Nationalparks finden nicht mehr ausreichend Nahrung in den Gewässern des Parks und jagen deshalb vermehrt die jungen Kälber der ansässigen Wapiti Hirsche und Elche. Schuld ist eine, in den 1980er Jahren eingewanderte Fischart: Die amerikanische Seeforelle. Sie verdrängte die im Park heimische Cutthroat-Forelle, beansprucht den selben Lebensraum sowie Nahrungsquellen und frisst zudem deren Laich. Die Seeforelle schwimmt allerdings überwiegend in tieferen Gewässerschichten und ist somit keine gleich-gute (Ersatz-) Beute für die Bären.
Die heimische Cutthroat-Forelle war eine beliebte Beute der Grizzly-Bären. Sie wurde jedoch von der Seeforelle verdrängt.
Die Grizzly-Bären des Yellowstone Nationalpark veränderten ihr Jagdverhalten.
Eine Elchkuh mit Kalb. Die Kälber sind in den ersten Wochen nach der Geburt oft Beute der Grizzly-Bären.
Im Abstract der Studie der Royal Society wird es so beschrieben:
“At the heart of the Greater Yellowstone ecosystem, an invasion of lake trout has driven a dramatic decline of native cutthroat trout that migrate up the shallow tributaries of Yellowstone Lake to spawn each spring. We explore whether this decline has amplified the effect of a generalist consumer, the grizzly bear, on populations of migratory elk that summer inside Yellowstone National Park (YNP). Recent studies of bear diets and elk populations indicate that the decline in cutthroat trout has contributed to increased predation by grizzly bears on the calves of migratory elk”.
Im Herzen des Greater Yellowstone-Ökosystems hat die Invasion von Seeforellen zu einem dramatischen Rückgang der heimischen Cutthroat-Forellen geführt, die in den flachen Zuflüssen des Yellowstone Lake hinauf wandern, um jedes Frühjahr zu laichen. Wir untersuchten, ob dieser Rückgang Auswirkungen auf das Verhalten des Grizzlybären und auf die Populationen von Wanderelchen in diesem Sommer im Yellowstone National Park (YNP) hat. Kürzlich durchgeführte Studien zum Fressverhalten der Bären und den Populationsbeständen der Elche deuten darauf hin, dass der Rückgang der Cutthroat-Forelle zu einer erhöhten Prädation durch Grizzlybären an den Kälbern von Wanderelchen geführt hat.
Die Daten der Studie geben Auskunft über diesen schleichenden Prozess. Seit die Seeforelle eingewandert ist, reduzierte sich der Bestand der Cutthroat-Forelle von Jahr zu Jahr. Um diesen Verlust an tierischem Eiweiß auszugleichen, müssen die Grizzlybären nun jährlich etwa 300 Kälber der Elche und Hirsche töten, errechneten die Biologen.
Invasive Arten
auch in Österreich
Universitätsprofessor Dr. Klaus Hackländer von der Universität für Bodenkultur Wien erklärt, dass es auch in Österreich immer wieder zu Beeinflussungen durch Neobiota kommt: „Der amerikanische Mink, der Waschbär und der Marderhund sind gebietsfremde, invasive Arten, die als Raubtiere die ohnehin gefährdeten Verlierer in der Kulturlandschaft weiter unter Druck setzen. So sind Bodenbrüter, Kleinsäuger, aber auch Amphibien und Reptilien zusätzlich gefährdet.
Der amerikanische Mink ist eine Raubtierart, die sich seit 1950 in Europa verbreitet hat. Ursprünglich aus Pelzfarmen entlaufen oder freigelassen, verdrängt er zunehmend den europäischen Nerz.
Der Waschbär ist, wie der Mink, ein Raubtier. Sie sind nachtaktiv und sehr anpassungsfähig. Waschbären sind gerade für Bodenbrüter gefährlich, da sie deren Nester plündern.
Der Marderhund wird auch Enok oder Tanuki genannt. Er wird durch sein Aussehen gelegentlich mit dem Waschbären verwechselt. Er ist ein nachtaktiver Allesfresser und stammt ursprünglich aus Fernost.
Aber auch ursprünglich heimische Arten wie Goldschakal, Fischotter oder Wolf stellen uns vor Herausforderungen. Aus wissenschaftlicher Sicht kann ich hier nur empfehlen, Managementpläne zu erarbeiten, Lebensräume für die Verlierer in unserer Kulturlandschaft zu verbessern und die Populationen der Raubtiere zu kontrollieren, wenn der günstige Erhaltungsstatus nach FFH-Richtlinie gewährleistet ist und die Lebensraumkapazitätsgrenze der Raubtiere erreicht wird. Neben ökologischen Konsequenzen gibt es bei diesen Arten ja auch ökonomische: Fischzucht oder Nutztierhaltung brauchen Schutzmaßnahmen.
Lieblingsbeute des Fischotters sind Fische. Aber auch Muscheln, Wasservögel, kleinere Säugetiere und Krebse zählen zu seinem Nahrungsspektrum.
Der Goldschakal ist ein natürlicher Einwanderer, der seit dem Fall des “Eisernen Vorhangs” sein Territorium von Ungarn herauf ausbreitet.
Der europäische Grauwolf ist wohl der bekannteste Rückkehrer der jüngsten Zeit. Besonders die Landwirtschaft stellt er vor Herausforderungen.
Ursache und Wirkung
Am Beispiel des Yellowstone-Nationalparks sehen wir, dass wichtige Änderungen meist unter der Oberfläche stattfinden und ihre Wirkungen erst nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten eintreffen. Wir müssen also genau hinsehen und versuchen zu verstehen, welche Auswirkungen selbst kleinste Veränderungen in unserer Umwelt haben können.
Den Jägerinnen und Jägern kommt hier eine erhebliche Verantwortung zum Natur- und Artenschutz zu. Durch lebensraumverbessernde Maßnahmen, wie das Anpflanzen von Hecken, Streuobtswiesen oder Wildäckern und der Bejagung des anpassungsfähigen Raubwildes, tragen sie dazu bei, die heimische Artenvielfalt zu bewahren.
UNSERE
LESE-EMPFEHLUNG
Bildquellen für diesen Beitrag:
Fotos: Pixabay, Grafik: Royal Society
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