Wozu Jagd? Interview mit Bundesminister Totschnig - Jagdfakten.at informiert

Wozu brauchen wir die Jagd, Herr Minister?

Mag. Norbert Totschnig MSc. Ist seit Mai 2022 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft.
Mit jagdfakten.at spricht er hier über die Rolle der Jagd in der österreichischen Kulturlandschaft:

 

WOZU JAGD?

Interview mit Minister Totschnig

Herr Minister, Jägerinnen und Jäger bezeichnen sich gerne als echte Kenner:innen der Kulturlandschaft – trifft dies zu?
Und was bedeutet Kulturlandschaft überhaupt?

Minister Totschnig: Unter Kulturlandschaft versteht man die Landschaft, die dauerhaft vom Menschen geprägt und gestaltet wird. Dazu zählt auch der Wald. Der Jagd kommt in diesem Gestaltungsprozess eine zentrale Rolle zu: Österreichs Jägerinnen und Jäger sorgen für das ökologische Gleichgewicht, leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Tier- und Pflanzenarten und erhalten identitätsstiftende Traditionen und Bräuche. Neben der Land- und Forstwirtschaft ist die Jagd in Österreich eine der drei wesentlichen Säulen der nachhaltigen Landnutzung.

Die Jagd ist eine Serviceleistung für Land-, Forstwirtschaft, Tourismus und öffentlichem Interesse. Diesem Service haben sich die 132 000 Jägerinnen und Jäger, sieht man von den rund 500 Berufsjägern ab, größtenteils ehrenamtlich, verpflichtet. Als Minister sind sie zuständig für die Land- und Forstwirtschaft. Welche Auswirkungen hätte es auf diese Bereiche, wenn es keine Jagd wie heute, als hauptsächlich ehrenamtlich geführten Dienst, mehr gäbe?

Minister Totschnig: Zu Unrecht wird die Jagd nach wie vor häufig auf den Abschuss von Wildtieren reduziert. Dabei ist das nur ein Aspekt dessen, was es bedeutet, Jägerin oder Jäger zu sein. Die Jägerschaft hat vielfältige Aufgaben und spielt etwa auch bei der Anpassung der Wälder an die geänderten klimatischen Bedingungen eine tragende Rolle. Die Jagd hat großes Potenzial für die Lösung aktueller Herausforderungen und muss sich entsprechend der steigenden Anforderungen auch stetig weiterentwickeln. Ohne die engagierte Arbeit des Großteiles ehrenamtlichen Jägerinnen und Jäger könnten viele Leistungen nicht erbracht werden. Neben umfassenden Investitionen wären völlig andere Strukturen notwendig, die erst aufgebaut werden müssten.

Jagdrecht
verstaatlichen?

Das Jagdrecht in Österreich fließt aus Grund und Boden und damit direkt mit dem Recht auf Eigentum verbunden. Das ist nicht überall so. Im Kanton Zürich der Schweiz etwa ist das Jagdrecht verstaatlicht und Jägerinnen und Jäger können gegen Lizenzen und nur zu gewissen Zeiten jagen gehen. Welche Auswirkungen hätte eine Verstaatlichung des Jagdrechtes auf die Jagdpraxis in Österreich?

Minister Totschnig: In Österreich hat sich die traditionelle Bindung des Jagdrechtes an Grund und Boden seit Jahrhunderten bewährt. Die Ausübung der Jagd im „Reviersystem“ ist bei uns der Schlüssel zur verantwortungsvollen Pflege von Wildlebensräumen. Wesentlich für den Österreichischen Weg ist die verfassungsmäßig garantierte Zuständigkeit der Bundesländer. Die Bundesländer kennen die regionalen Gegebenheiten vor Ort und können in ihren Gesetzgebungen bestmöglich darauf eingehen. Die Landesjagdgesetze regeln zum Beispiel die Aus- und Weiterbildung der Jagdausübungsberechtigten, Bejagungszeiten oder auch Bejagungsintervalle. Unterstützung erhalten die Bundesländer durch den Forst & Jagd Dialog, der Erfahrungsaustausch ermöglicht und Handlungsempfehlungen ausspricht.

Welchen Dienst leistet die Jagd für die Allgemeinheit?

 

Warum ist die Jagd systemrelevant und durfte beispielsweise während der Corona-Lockdowns ausgeübt werden?

Minister Totschnig: Die Jägerschaft übernimmt wesentliche Aufgaben für die Gesellschaft, die weit über die Leistungen einer Freizeitgestaltung hinausgehen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Es liegt an der Jagd, die Wildstände zu regulieren und für ausgeglichene Wald und Wild Verhältnisse zu sorgen. Weiters muss sie einen Ausgleich zwischen Artenvielfalt, Naturschutz und Landnutzung schaffen und die Bevölkerung zudem mit regionalen Lebensmitteln in Form von Wildbret versorgen. Damit die Jägerschaft diese verantwortungsvollen Aufgaben auch in Zukunft erfüllen kann, braucht es ansprechende und zeitgemäße Rahmenbedingungen.

Land- und Forstwirtschaft –
die zwei größten Wirtschaftsfaktoren in Österreich

Mit der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft unterliegen ihrem Ministerium die zwei der größten Wirtschaftsfaktoren der Nation.
Welche Rolle spielt hier die Jagd?

Minister Totschnig: Für die österreichische Volkswirtschaft ist der Beitrag der Land- und Forstwirtschaft von zentraler Bedeutung. Der primäre Sektor trug 2021 rund 1,2 % zur Bruttowertschöpfung bei, der Produktionswert der Land- und Forstwirtschaft betrug rund 10,9 Milliarden Euro und verzeichnete ein Plus von 16,5 % im Vergleich zu 2020:

  • Davon entfielen 8,5 Milliarden Euro auf die Landwirtschaft und
  • 2,4 Milliarden auf die Forstwirtschaft.

Eine Studie aus dem Jahr 2017 belegt, dass auch die Jagd einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor für Österreich darstellt:

  • Der Wertschöpfungsbeitrag der Jagd beträgt pro Jahr durchschnittlich rund 731 Millionen Euro.
  • Darüber hinaus erbringt die Jagd nach internen Schätzungen ehrenamtliche Leistungen im Wert von etwa 240 Millionen Euro.
  • Zudem sichert und schafft die Jagd circa 59.000 Arbeitsplätze, vornehmlich in peripheren Regionen unseres Landes.

Ohne Jagd, ohne Waldbewirtschaftung –
in welchem Österreich würden wir dann leben?

Minister Totschnig: Ohne Jagd und aktive Waldbewirtschaftung wäre unser Land nicht wieder zu erkennen. Der Wald sichert Einkommen und Arbeitsplätze, schützt vor Naturgefahren, liefert Energie, trägt zum Klimaschutz bei, ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen und bietet den Menschen Erholung. Damit das auch in Zukunft so bleibt, müssen wir unseren Weg einer aktiven, nachhaltigen Bewirtschaftung fortsetzen, die Hand in Hand mit der Jagdausübung geht.

Die Klimaveränderung stellt die Forst- und Holzwirtschaft vor große Herausforderungen. Das Ausmaß und die Folgen dieser Entwicklung zeichnen sich beispielsweise im Süden und Westen Österreichs ab. In den nächsten Jahren müssen wir alles daransetzen, Österreichs Wälder an die geänderten klimatischen Bedingungen anzupassen. Dafür braucht es einen Waldumbau mittels standortstauglichen Baumarten, Pflegeeingriffen und konsequenter Borkenkäferprophylaxe.

Die Klimawandelanpassung kann allerdings nur mit Unterstützung der Jägerschaft gelingen. Der hohe Bestand an Schalenwild setzt unsere Wälder zusätzlich unter Druck und gefährdet besonders den heimischen Schutzwald. Durch den Verbissdruck an Jungpflanzen wird die gesunde Entwicklung der Waldverjüngung stark beeinträchtigt. Hier ist die Jagd gefordert, eine Trendumkehr einzuleiten und ausgeglichene Wald und Wild Verhältnisse zu schaffen.

Am 12. Juli hat das Europäische Parlament seinen Standpunkt zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law – NRL) vorgelegt. Das Gesetz sieht eine Außernutzungstellung einzelner Gebiete vor. Was ist die Haltung des österreichischen Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft dazu?

Minister Totschnig: Die nachhaltige Forstwirtschaft ist in Österreich rechtlich im Forstgesetz verankert. Dadurch soll der Wald sowohl ökologische als auch ökonomische und gesellschaftliche Wirkungen erfüllen. Wir in Österreich bekennen uns klar zum Klima- und Umweltschutz. Die Frage ist der Weg dorthin. Gegenüber dem derzeitigen Vorschlag zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gibt es Bedenken, da der Entwurf unklar in der Finanzierung und Ausgestaltung ist sowie noch nicht zu Ende gedacht.

Ein Beispiel: Wenn wir Wälder Außer-Nutzung stellen, tun wir dem Klimaschutz nichts Gutes. Positive Effekte in der Klimabilanz hat etwa die Speicherung von Kohlenstoff in Holzprodukten oder auch die Nutzung erneuerbarer Energie aus dem heimischen Wald. Die Jägerschaft ist ein wesentlicher Träger dieses Ökosystems – nur mit ihrer Hilfe kann die Versorgung mit dem nachhaltigen Rohstoff Holz langfristig sichergestellt werden.

Wozu Jagd? Interview mit Bundesminister Totschnig - Jagdfakten.at informiert
Jagdfakten.at bedankt sich für das Interview mit Bundesminister Totschnig

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Bildquellen für diesen Beitrag: © BML Gruber

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