
Kinder erleben Natur mitten in der Stadt:
Im „Waldkindergarten“ – der vielmehr ein offener Bildungs- und Erlebnisraum ist.
Elisabeth Bernecker war lange in der Konzernwelt zu Hause – bis sie 2024 „HayKid“ gründete: einen einzigartigen Kinderspielraum mitten in Wien, der urbane Familien auf spielerische Weise wieder mit der Natur verbindet. Ein Ort mit Waldfeeling auf 200 Quadratmetern, Moos unter den Fingern und Kaulquappen im Schaffl.
„Waldkindergarten“
Und die Vision:
Naturpädagogik mitten in Wien
Es ist kein klassischer Lebenslauf, der hinter „HayKid“ steht – und genau das macht die Geschichte so besonders. Elisabeth Bernecker arbeitete über 15 Jahre lang in einem internationalen Konzernumfeld. Als Controllerin war sie es gewohnt, in Zahlen, Plänen und Reports zu denken, doch mit der ersten Schwangerschaft 2019 kam ein Wandel: „Ich wollte meinen Kindern den Zugang zur Natur bieten, den ich selbst als Kind hatte“, erzählt die in Lannach verwurzelte Halbsteirerin. Dass das in der Bundeshauptstadt Wien so einfach nicht sei, war schnell klar. Warum also nicht selbst ein naturpädagogisches Angebot schaffen, das auch alltagstauglich ist?
Die Vision: Naturpädagogik mitten in Wien
Die Idee, Naturerleben in den urbanen Raum zu holen, reifte über Jahre. Der entscheidende Schritt: die Suche nach einer geeigneten Location. Fündig wurde sie in einem ehemaligen Kindergarten im dritten Bezirk – ein Ort mit Geschichte, der nach einem abrupten Ende des Vorgängerbetriebs leer stand. „Wir haben alles umgebaut – nachhaltig, kindgerecht, klimafreundlich“, erzählt Bernecker. Das Projekt nahm konkrete Formen an – und aus einer Vision wurde Realität. Am 1. Oktober 2024 und nach der Geburt von Berneckers zweitem Kind öffnete HayKid erstmals die Türen.
Die Jagd als Inspirationsquelle
Elisabeth Bernecker ist seit fast zwei Jahrzehnten leidenschaftliche Jägerin. Der Wald war für sie nie bloß Kulisse, sondern Lebensraum, Rückzugsort und Quelle der Erkenntnis. Auf der BOKU Wien absolvierte sie den akademischen Jagdwirt, später die Ausbildung zur zertifizierten Waldpädagogin. „Jagd und Kinder, Wald und Kinder – diese Kombination hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt sie heute. Doch in Wien stellte sich eine ganz pragmatische Frage: Wie soll das gehen – Waldpädagogik mitten in der Stadt?
Ein Wald auf 200 Quadratmetern
Was Besucher heute erwartet, ist weit mehr als ein Spielraum: heimische Hölzer, Wandbilder von Tieren und Pflanzen, Barfußwege, ein kleiner Garten mit zwölf Baumarten im Kübel. „Wir holen den Wald in die Stadt – buchstäblich“, sagt Bernecker. „Ich fahre jede Woche zweimal ins Revier, um Moos, Rinde, Totholz und Pflanzenmaterial zu holen.“ Die Kinder dürfen angreifen, riechen, sammeln, gestalten. Auf 50 Quadratmetern Außenbereich können sie Schnecken beobachten, Kaulquappen beim Wachsen zusehen, mit Steinen spielen und Natur begreifen – am besten barfuß!
Flexibles Konzept statt starre Betreuung
HayKid ist bewusst kein Kindergarten. Vielmehr versteht es sich als offener Bildungs- und Erlebnisraum. „Wir haben unsere Waldzwergerl am Vormittag – da kommen Kinder mit ihren Eltern. Und am Nachmittag bieten wir freies Spiel mit optionaler Betreuung an.“ Diese Flexibilität ist gewollt: Eltern können ihre Kinder bringen, müssen aber nicht. Wer spontan Zeit hat, kann kommen – wer Unterstützung braucht, findet sie. Ein Modell, das vor allem für Eltern mit unregelmäßigen Arbeitszeiten attraktiv ist oder für Großeltern, die Gemeinschaft bei der Betreuung suchen.
Ein Ort für Familien – und für die Zukunft
HayKid ist auch ein Ort des Miteinanders: Viele Eltern kommen mit, helfen mit, lernen mit. Es gibt die Möglichkeit, auf Deutsch oder Englisch zu lernen, Geburtstagsangebote, 10er-Blöcke und offene Nachmittage. „Wir haben Familien, die seit dem ersten Tag dabei sind – das ist ein wunderschönes Feedback.“ Die Preise sind bewusst gewählt: zehn Euro für einen Vormittag bei den Waldzwergerl mit Kaffee und Kuchen, 19 Euro für einen Spielenachmittag. „Und ja“, sagt Bernecker lachend, „manchmal backe ich auch selbst.“

Lernen mit allen Sinnen
Das pädagogische Konzept basiert auf freier Entfaltung, aber mit klarem thematischem Fokus: Im Winter ging es unter anderem um Überwinterungsstrategien, im Frühling um Pflanzenkunde, im Herbst um Schwammerl. „Wir arbeiten mit echten Materialien – mit Käferrinde, Pilzen, Blättern. Die Kinder zeichnen Gänge nach, untersuchen Spuren oder basteln mit Tannenzapfen.“ Wichtig ist, dass das Wissen spielerisch kommt. Die Bewegung gehört ebenso dazu wie Momente der Achtsamkeit und Stille. „Ein Kind lernt nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper und dem Herzen“, so Bernecker.
Keine Angst vor der Wirklichkeit
Einzigartig ist auch der offene Umgang mit Leben und Tod. In einem Raum voller Präparate mag man sich fragen, ob das nicht zu viel ist. Aber, kontert Bernecker: „Die Kinder sind neugierig, nicht verängstigt. Sie fragen direkt: ‚Hat das gelebt?‘ – und wenn man es kindgerecht erklärt, verstehen sie es sofort.“ Gerade in urbanen Lebenswelten fehlt oft der Bezug zur Herkunft von Lebensmitteln. „Fleisch wächst nicht in einem Supermarkt, sondern stammt vom Tier – das ist eine wichtige Erkenntnis.“
Naturpädagogik als gesellschaftlicher Auftrag
Was heute spielerisch daherkommt, hat eine tiefere Dimension. „Kinder sind nicht nur Menschen von morgen – sie sind unsere Mitmenschen von heute“, betont Bernecker. Und sie ist überzeugt: Ein solides Naturverständnis schützt unsere Zukunft. „Die Natur braucht uns nicht – aber wir brauchen sie. Und das dürfen wir nicht vergessen.“ HayKid soll ein Anfang sein – und hoffentlich ein tragfähiges Modell für die Zukunft. Bernecker: „Denn noch sind wir österreichweit allein auf weiter Flur.“
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Bildquellen für diesen Beitrag: © Sodia | © iStock
Autor für diesen Beitrag: U. Macher / Jagdfakten.at
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