Der Jäger und der Koch - im Gespräch mit Haubenkoch Richard Rauch: jagdfakten.at informiert

Wild muss raus aus der Nische:

Richard Rauch, vielfach ausgezeichneter Haubenkoch und Chef des renommierten steirischen Restaurants „Geschwister Rauch“, über seine Liebe zur Küche, seine zweite Leidenschaft – die Jagd – und wie beides seine Philosophie als Koch prägt. Ein Gespräch über Respekt, Handwerk und die große Verantwortung im Umgang mit Natur und Lebensmitteln.

Der Jäger und der Koch

Ein Gespräch mit Richard Rauch

Herr Rauch, was war bei Ihnen zuerst da – die Liebe zur Küche oder die Liebe zur Jagd?
Ganz klar die Liebe zur Küche. Schon als kleiner Bub bin ich am Herd des Bauernhofs meiner Oma aufgewachsen. Mit 14 oder 15 Jahren war für mich endgültig klar: Ich will Koch werden. Die Leidenschaft für Essen und Trinken hat mich damals schon völlig in ihren Bann gezogen.

Wann kam die Jagd ins Spiel?
Im zweiten Lehrjahr in der Tourismusschule, also mit etwa 16, 17 Jahren. Mein Vater, mein Bruder, viele Cousins – alle waren begeisterte Jäger. Mein Cousin Albert hat dann zu mir gesagt: „Mach doch auch den Jagdschein!“ Und ich dachte: Warum nicht? Obwohl ich durch meinen Job kaum Zeit hatte, regelmäßig den Kurs zu besuchen, haben wir am Abend und in der Freizeit gemeinsam gelernt, privat die Systeme durchgearbeitet. Die Leidenschaft ist dabei langsam gewachsen. Es ging mir aber nie nur ums Schießen. Mich hat das ganze Drumherum fasziniert: die Hege, die Pflege, das Verständnis für die Natur – und natürlich, wie man Wildbret richtig verarbeitet.

Wie sehr hat die Jagd Ihre Arbeit als Koch verändert? 

 

Enorm. Wer selbst Jäger ist, hat ein ganz anderes Verständnis dafür, was es bedeutet, ein Stück Fleisch auf dem Teller zu haben. Bei uns im Betrieb kommen die Rehe noch in der Decke an, bis zu 100 Stück pro Jahr! Die werden dann selbst aus der Decke geschlagen, zerwirkt, verarbeitet – vom Kopf bis zum Knochen. Dieses Wissen gebe ich auch unseren Mitarbeitern weiter. Fleisch ist kein Massenprodukt, sondern ein Geschenk der Natur, und ich sehe es als meine Pflicht, das ganze Tier zu verwerten – nicht nur edle Teile wie Rücken oder Keule, sondern auch Herz, Zunge, Lunge und Leber.

Gibt es ein Gericht, das für Sie diese Verbindung zwischen Jagd und hoher Kochkunst perfekt verkörpert?
Ja – und es ist vielleicht nicht das, was man erwarten würde. Für mich ist das klassische Beuschel das perfekte Gericht. Herz, Lunge, Zunge – Teile, die früher wenig Wertschätzung erfahren haben, bekommen durch die richtige Zubereitung eine unglaubliche Qualität. Und genau das fasziniert mich: Echte Kochkunst zeigt sich nicht darin, einen Rücken rosa zu braten. Das kann man lernen. Aber aus den weniger edlen Stücken etwas Großartiges zu schaffen – das ist Handwerk, das ist Leidenschaft.

Hat die Jagd Ihren Blick auf Fleisch generell verändert?

Definitiv. Auch wenn ich durch meine Herkunft – mein Vater und mein Bruder stammen aus der Fleischereibranche – schon immer einen sehr respektvollen Zugang hatte, hat sich mein Blickwinkel durch die Jagd noch einmal vertieft. Heute haben wir die gesamte Wertschöpfungskette bei uns im Haus. Ich bekomme das Stück in der Decke und verarbeite es komplett – ohne Verlust, ohne Abfall. Das macht etwas mit einem.

Welche Wildarten verarbeiten Sie am liebsten?
Ganz klar das heimische Reh. Aber auch der Wildhase fasziniert mich zunehmend. Besonders beeindruckt mich das traditionelle französische Gericht „Lièvre à la Royale“, ein geschmorter Wildhase, dessen Sauce mit Blut gebunden wird – höchste Kochkunst, die eine unglaubliche Tiefe und Eleganz auf den Teller bringt.

Sie erwähnen es gern: Die Wildbretverarbeitung ist heute viel sicherer als früher. Hat das auch die Akzeptanz von Wildfleisch verändert?
Absolut. Früher hatten viele Menschen Angst vor dem sogenannten „Hautgout“, diesem intensiven Geschmack, der entsteht, wenn Wild nicht richtig gekühlt wird. Heute, mit modernen Kühlmöglichkeiten, ist das kein Thema mehr. Aber es braucht Aufklärung: Wild ist gesund, nachhaltig und unglaublich vielfältig. Und es sollte nicht nur im Herbst auf den Karten stehen, sondern das ganze Jahr über.

Also mehr Wild auf Österreichs Speisekarten?
Unbedingt! Es gehört eigentlich in jedes Wirtshaus ein Wildgericht. Ob ein einfaches Rehgulasch oder ein Wildschweinbraten – Wild sollte viel präsenter sein. Heute werden rund 70 Prozent unseres Wildbestandes exportiert, das ist absurd. Wir sollten selbst viel mehr davon nutzen, und das geht auch wirtschaftlich gut: Wer ein ganzes Tier verarbeitet, kann aus allen Teilen etwas machen. Wildragout, Sugos – da ist so viel möglich.

Gibt es eine Initiative von Köchen, die sich gezielt für mehr Wild auf den Tellern einsetzt?
Leider nein, aber es wäre an der Zeit! Ein Zusammenschluss von jagdbegeisterten Köchen gemeinsam mit dem österreichischen Jagdverband könnte da viel bewirken. Ich hoffe, dass sich in Zukunft mehr Kollegen dafür engagieren.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Wildgericht?
Natürlich – ein Rehgulasch, zubereitet von meiner Tante, nebenbei erwähnt eine fantastische Köchin. Dieses Gericht hat mich damals völlig begeistert: der Geschmack, die Qualität, die Tiefe. Da war es um mich geschehen.

Und Ihr erstes selbst erlegtes Wild?
Ein Rehbock, mit 17 Jahren. Ich habe ihn komplett selbst verarbeitet. Die Leber haben wir sofort für meine Jagdkollegen zubereitet – ich brate sie gerne mit viel süß gerösteten Zwiebeln, etwas fein geschnittener Powidl-Zwetschke und einem Spritzer salzarmer Sojasauce. Keine klassische Alkoholreduktion – sondern purer Geschmack.

Sie haben vorhin auch den Wildhasen erwähnt. Setzen Sie bei der Zubereitung tatsächlich auch Blut ein?
Ja, unbedingt – auch bei unseren Rehsaucen. Ich thematisiere es nicht groß auf der Karte, aber das Blut gibt der Sauce eine unglaubliche Bindung und eine besondere Tiefe. Das ist echte französische Tradition und die hohe Schule der Wildküche.

Jäger und Koch Richard Rauch: jagdfakten.at informiert
Jagdhut von Richard Rauch - Jagdfakten.at informiert
Wildgerichte von Richard Rauch, jagfakten.at informiert

Was lernt man beim Jagen, das einem auch am Herd hilft?
Ruhe. Geduld. Und den Respekt vor dem Leben. Jeder Schuss muss wohlüberlegt sein. Jeder Eingriff in die Natur bedeutet Verantwortung. Genau dieses Bewusstsein prägt auch meinen Zugang zum Kochen: bewusst entscheiden, bewusst handeln, nichts verschwenden. Die Jagd hat meinen Respekt für Lebensmittel auf eine neue Ebene gehoben.

Dieser Respekt gilt vermutlich nicht nur dem Fleisch, oder?
Nein, überhaupt nicht. Auch bei einem Kilo Sellerie überlege ich heute viel bewusster: Was kann ich aus den Schalen machen? Welche Ideen entstehen daraus? Der Wald selbst inspiriert mich ständig. Auf dem Rückweg vom Hochsitz nehme ich oft Sauerklee oder Waldmeister mit – die Natur schenkt uns so viel, wir müssen es nur sehen und schätzen lernen.

Und das Handy bleibt beim Jagen aus?
Natürlich. Jagd ist für mich eine Art Meditation. Kein Telefon, keine Ablenkung. Nur der Moment, die Natur und die Gedanken. Das erdet mich – und öffnet den Kopf für neue kreative Ideen in der Küche.

Steckbrief: Richard Rauch

Name: Richard Rauch
Geburtsjahr: 1985
Heimat: Trautmannsdorf, Steiermark
Beruf: Haubenkoch, Jäger, Gastgeber mit Herzblut
Betrieb: Geschwister Rauch in Trautmannsdorf (mit Schwester Sonja), https://www.geschwister-rauch.at
Auszeichnungen:

  • 1 Stern Guide Michelin
  • 4 Hauben (Gault&Millau)
  • „Koch des Jahres 2015“ Rolling Pin
  • zahlreiche nationale und internationale Awards

Spezialität:
Kreative Regionalität mit Welteinflüssen – von Rehbeuschel bis fermentierte Karotte

Jagdprüfung: mit 17 Jahren abgelegt
Lieblingswild: Reh und Wildhase
Küchenphilosophie: ganzheitliche Verwertung, ehrliches Handwerk, Respekt vor dem Tier
Kraftplatz: der Hochsitz – ohne Handy, mit offenem Geist

UNSERE
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Bildquellen für diesen Beitrag: © Tobias Juranitsch | © Jörg Lehmann | @ Richard Rauch
Autor für diesen Beitrag: U. Macher / Jagdfakten.at

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