
Einzelgänger Emil: Warum Elche wandern
War Elch Emil auf Abwegen? Und was verrät sein Fall über Elchpopulationen in Europa?
Wir haben uns die größte aller Hirscharten einmal genauer angeschaut.
ELCH EMIL
Warum wandert ein Elch?
Plötzlich war da also ein Elch.
Nein, nicht im Fernsehen, im Kinderbuch oder im Wildtierkalender. Sondern hier in Österreich, quasi vor der eigenen Haustür – und das leibhaftig. Die Rede ist von Emil. So jedenfalls nannten Mitarbeiter aus dem tschechischen Šumava-Nationalpark den männlichen Elch, der ungewöhnlich lange Strecken zurücklegte und daher besonders oft in diesem Nationalpark gesichtet wurde.
Und weil es für Emil offenbar kein Halten gab, wurde er bald auch in Österreich bekannt. Damit wurde Emil zu einem Symbol für die Rückkehr der Elche nach Mitteleuropa, die Wanderfähigkeit der Art und die Bedeutung vernetzter Waldlebensräume über Ländergrenzen hinweg. Aber der wanderlustige Elch warf auch Fragen auf: Wie steht es eigentlich um die Elche in Mitteleuropa? Und hat er sich wirklich nach Österreich „verirrt“, wie so oft zu lesen war?
Elche sind nicht mehr
vom Aussterben bedroht
In Europa kommen Elche vor allem im Norden und Nordosten vor: Staaten wie Schweden, Norwegen, Finnland, die baltischen Staaten, Polen, Weißrussland und Russland gelten als Hauptverbreitungsgebiet für diese größte Art der Hirsche. Grund dafür ist das Klima: Elche mögen es kalt, weil ihr Körper auf Kälte spezialisiert ist. Sie haben eine dicke Fettschicht und ein isolierendes Fell, das sie vor Frost schützt. Ihre langen Beine erleichtern das Gehen im tiefen Schnee und kalten Wasser. Zudem finden sie in nördlichen Regionen mehr ihrer bevorzugten Nahrung wie Wasserpflanzen, Weiden und Birken. In warmem Klima würden sie überhitzen und zu wenig Futter finden. Kein Wunder also, dass Elche in Zeiten der Klimaerwärmung immer weiter gegen Norden gedrängt werden – und ihre Populationen mittlerweile weniger stark anwachsen als in den vergangenen Jahrzehnten.
Elchpopulation – am Beispiel Skandinaviens
Doch die Geschichte des Elches als eine des Aussterbens zu begreifen, wäre falsch. Im Gegenteil, wie am Beispiel Skandinaviens deutlich wird: Lag die Elchpopulation zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich bei „einigen Tausend“, sind es heute laut der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften rund 300.000. Die Gründe dafür sind vielfältig:
Wiederaufforstung und Verbesserung der Lebensräume bieten reichlich Nahrung und Rückzugsgebiete. Hinzu kommt, dass es in Skandinavien nur wenige natürliche Feinde gibt, die die Elche in relevanten Zahlen kontrollieren könnten. Gleichzeitig sorgt ein wissenschaftlich geplantes Wildtiermanagement, das auch von der Jägerschaft mitgestaltet wird, für eine nachhaltige Populationskontrolle und hohe Reproduktionsraten. Und zu guter Letzt begünstigt die kulturelle Akzeptanz der Menschen eine Koexistenz mit den Tieren, sodass Elche in Wäldern und ländlichen Gebieten überleben und sich erfolgreich vermehren können. Aber wie sieht es in Mitteleuropa aus?
Ist Polen das gelobte Land für Elche?
Als Hotspot für Elchpopulationen gilt heute Polen. Dort leben schätzungsweise um die 50.000 Elche, vor allem in den nordöstlichen Wäldern. Es wird davon ausgegangen, dass auch Emil ursprünglich aus diesem Gebiet stammt. Von dort aus wanderte er vermutlich südwärts durch Polen und erreichte über natürliche Wald- und Flusstäler das tschechische Grenzgebiet. Im ausgedehnten Šumava-Nationalpark, der mit dem Bayerischen Wald und dem österreichischen Mühlviertel ein zusammenhängendes Waldgebiet bildet, fand er ideale Bedingungen: feuchte Täler, junge Wälder und wenig menschliche Störung.
Im Šumava-Nationalpark wurde er erstmals 2015 von Kamerafallen erfasst. Dass er sich daraufhin nach Österreich „verirrt“ habe, ist eine gewagte These, denn: Vor allem männliche Elche können große Kilometeranzahlen hinter sich bringen, weil sie nach der Geschlechtsreife oft weite Wanderungen unternehmen, um neue Reviere zu finden und Inzucht zu vermeiden. Dabei legen sie nicht selten Distanzen von über hundert Kilometern zurück, folgen Flusstälern oder Waldkorridoren und überwinden sogar Landesgrenzen. Dieses Verhalten ist also kein Zufall, sondern Teil ihrer natürlichen Ausbreitungsstrategie – mit der Ausnahme, dass die meisten Elche eigentlich so dicht besiedelte Gebiete wie Österreich meiden. So oder so:
Auch Elch Emil dürfte dem Fortpflanzungsinstinkt gefolgt sein, als er sich vom polnisch-tschechischen Grenzgebiet in Richtung Böhmerwald bewegte. Sein Erscheinen in Österreich war also eher Ausdruck biologischer Wanderlust als ein bloßes „Verirren“. Jetzt lebt er bekanntlich wieder im Böhmerwald, zusammen mit etwa 15 weiteren Elchen.
Experten sind sich einig
So bald wird nach Österreich kein Elch mehr kommen. Wahrscheinlicher ist es, dass Emil und Co. in absehbarer Zukunft eher gegen Norden wandern werden als nach Österreich. Dorthin, wo es kälter ist, wo weniger Menschen leben – und die Lebensräume als geeigneter für Elche im 21. Jahrhundert gelten als vor den Toren Wiens.

Elchkuh mit Elchkalb

Elchhirsch auf Waldlichtung
UNSERE
LESE-EMPFEHLUNG
ORF – Emil, der Elch, und der Böhmerwald
Studie über Elchpopulationen der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften
Bildquellen für diesen Beitrag: © Pixabay
Autor für diesen Beitrag: L. Palm / Jagdfakten.at
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